Anguckallergie

Inez Maus
Blogbeitrag 7. Dezember 2025
Der Streit um den heiligen Baum (1/3)
© Inez Maus 2014–2025
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Dies ist ein Gastbeitrag meines Sohnes Benjamin. „So, noch einen Klecks Leim, Gaston, dann hat der Loki wieder seine Hand“, bat Ferdinand, als er sachte die rechte Hand der blechernen Wasserpuppe zwischen Zeigefinger und Daumen hielt. Mit der Pinzette in der rechten Hand entnahm er aus einem Holzkästchen ein klitzekleines, aus Magirium geschliffenes Plättchen. Gaston währenddessen näherte den Leimpinsel vorsichtig dem Handrücken der Puppe, dessen Blech zur Seite gewölbt worden war, sodass man das innere Drahtgeflecht mit den Plättchen sehen konnte. Kurz hielt der Lehrling inne, weil seine Hand zitterte. Doch nach einem tiefen Atemzug festigte sich diese und mit einer leichten Bewegung war der Leim an jene Stelle getupft worden, die ein Plättchen missen ließ. Sogleich setzte Ferdinand eben jenes ein, legte die Pinzette ab und hielt seine Finger in die Hand der Puppe hinein, ohne aber das innere Drahtgeflecht zu berühren. Stattdessen tropfte etwas weiß leuchtendes Mana aus seiner Fingerkuppe heraus und berührte das Plättchen, sodass die Elementarmagie des jungen Gesellen den Leim rasch erhärten lassen konnte. Auf dieselbe Art verschloss Ferdinand geschwind den Handrücken der Wasserpuppe, bevor er diese sanft wie ein kleines Kind vom Tisch hob und sie Annika reichte, welche zusammen mit ihrem Lehrmeister angespannt der Reparatur beigewohnt hatte: „Hier, bitte sehr. Nun kann er beidhändig wieder Unfug treiben.“ „Oh, ich danke dir so sehr“, strahlte die Puppenspielerin ihn an und nahm die Puppe entgegen, sie wie ihr eigenes Kind in den Armen wiegend. „Kann ich ihn gleich ausprobieren?“ „Natürlich“, bejahte Ferdinand. Zusammen mit dem Lehrling Gaston und dem alten Puppenmeister gingen sie in den kleinen Vorführraum, der sich mit der Werkstatt hinter dem Verkaufsraum des kleinen Wasserpuppen- Geschäftes befand. Dessen Mitte vereinnahmte eine Theke mit einem großen, flachen Becken, in das bereits Wasser eingelassen worden war. Aufgeregt setzte Annika die Lokipuppe in das Becken hinein und steckte dann ihre Finger am Rand ins Wasser. Jenes begann sogleich um ihre Kuppen herum leicht zu wirbeln, bevor leuchtende Bindfadenströmungen sich hin zu der zusammengesackten Lokipuppe schlängelten. Durch kleine Schlitze in den Füßen drang es hinein und küsste die Plättchen, nun an jene gebunden. Wasserkraft fuhr in den blechernen Loki und er erhob sich. Im Becken stehend hielt er seine kleine Rechte hoch und bewegte jedes einzelne seiner winzigen Fingerglieder, die allesamt sich geschmeidig regten. Dann hob der kleine Loki seinen Kopf und sah Ferdinand an, bevor er einen frechen Tanz begann: „Haha, ich danke dir. Gewiss kann ich nun Thor dabei helfen, die lieben Kinder zu belohnen und die bösen zu behämmern. Als Lohn werde ich dir ein paar Geschenke von dem Widderschlitten mausen.“ Ferdinand schmunzelte über das gelungene Schauspiel, obwohl er natürlich die sprechende Puppenspielerin sah, die sonst hinter einem Vorhang versteckt wäre. Zudem konnte sie nicht ganz durch das Verstellen der Stimme ihre Feminität verbergen, doch das passte eigentlich zu einem gestaltwechselnden Trickser. „Bitte nicht“, bat er. „Sonst geht ja ein Kind leer aus. Beschwichtige doch stattdessen Mjölnir, den unartigen Kindern zuliebe.“ „Aber die beschenke ich doch schon hinter Thors Rücken“, flüsterte die Puppe ihm unter vorgehaltene Hand zu. „Aber gut, ich werde deinem Wunsch Folge leisten. Frohes Fest!“ Mit diesem Frohlocken sackte der Loki wieder zusammen und während Annika ihn aufhob und das Wasser herausfließen ließ, reichte der Puppenmeister Ferdinand den Lohn: „Sie haben uns sehr geholfen, junger Mann, mit ihrer raschen Reparatur. Damit ist die Vorführung für den Julmarkt gerettet.“ Ein mahnender Blick hin zu dem Lehrmädchen. „Sofern du deinen Loki nicht wieder wahrhaftig gegen einen Baum schlagen lässt.“ „Ja, ja, ich weiß“, erwiderte diese. „Meine Lektion habe ich gelernt: Was wie lebensecht anmutet, ist auch so zerbrechlich wie das Leben.“ „Und ein weiterer zufriedener Kunde“, ließ Meisterin Krummohr die Kasse klingeln. Die graufellige Hasenfrau blickte stolz entlang der Verkaufstheke hin zu ihrem Gesellen. „Ein sehr gutes Werk, Ferdinand“, merkte sie an, mit ihren geknickten, langen Ohren winkend, bevor sie ihren Blick auf den Lehrling richtete: „Auch du hast gute Arbeit geleistet, Gaston.“ „Oh, ich habe nur etwas geleimt“, meinte dieser verlegen, worauf Ferdinand erwiderte: „Mach dich nicht klein. Es war eine große Hilfe für mich, dass du das mir abnahmst.“ „Zumal dein Griff immer sicherer wird“, stimmte die Meisterin lächelnd zu. „Im Frühling, denke ich, kann ich dich an die feinfühligen Aufgaben heranführen.“ Ein neuer Kunde kam in den Laden und wurde von der Meisterin begrüßt, während Lehrling und Geselle nach hinten gingen. Ferdinand nahm sich der nächsten Reparatur an, während Gaston begann, den Raum zu fegen. Da sich das Geschäft in einem Eckhaus befand, war nicht nur dem Verkaufsraum vorn ein Blick auf die Straße hinaus vergönnt, sondern man konnte auch in der Werkstatt durch ein Fenster hinaus auf den nahen Platz schauen. Jener war recht klein und den Großteil des Jahres plätscherte über eine simple, gepflasterte Lichtung nur ein Bächlein des regen Verkehrs der Großstadt Vitrotis’ hier entlang. Doch wie viele seiner Brüder sollte er nun, zum Ende des Grabmondes hin, der Schauplatzes eines Julmarktes werden. Viele, gut in dicke Kleidung eingepackte Leute bauten die ersten Stände auf, während man inmitten des Platzes bereits den großen Julbaum aufgestellt hatte und diesen reichlich schmückte. Eine Harpyie mit Bommelmütze kletterte gerade eine Leiter hinauf, leicht mit ihren Flügeln umherwedelnd, um das Gleichgewicht zu wahren, während ihre Hände geschwind eine elektrische Lichterkette zwischen hölzernen Runenplättchen und gläsernen Widderfigürchen aufhingen. Gaston konnte nicht anders, als beim Fegen innezuhalten und vollkommen hinauszusehen. Obwohl noch die nasse Trübnis des ausgehenden Herbstes über den Pflastersteinen ausgelegt lag, konnte der Lehrling bereits die zarte Weiche des Schneetuches des Winters spüren und das Läuten der Julglocken hören, während er dem Ankleiden des Baumes beiwohnte. „Hach, der Julbaum ist doch einfach etwas Wunderbares“, seufzte er wehmütig. „Ohne ihn würde sich das Julfest nicht so heimselig anfühlen.“ „Damit sollte es also kein Wunder darstellen, dass deine Vorfahren ihn gestohlen haben“, merkte Ferdinand beiläufig an, während er einem Hermes den abgebrochenen Sohlenflügel zurück an den Schuh anfeuchtete. Diese Bemerkung riss unsanft Gastons Blick vom Fenster weg: „Hä, was soll bitte das denn heißen?“ „Dass euer Julbaum nichts anderes ist als eine Abkupferung des Weihnachtsbaumes. Wir haben als Erste Tannen geschmückt, um die Geburt des Messias zu feiern.“ „Was für ein ausgemachter Unsinn“, schwenkte Gaston barsch mit dem Besen umher. „Als würdet ihr Christen Bäume lieben. Wir, die wackeren Nordmenschen sind es, die im Einklang mit der Natur sind. Ihr Kreuzverehrer hingegen könnt ja nicht anders, als heilige Haine niederzubrennen. Eindeutig habt ihr von uns diesen Brauch geraubt. So, wie ihr es mit allem tut. Es ist doch auch eine glatte Lüge, dass euer Jesus ganz zufällig am Tag des Julfestes geboren wurde. Sicher hat euch das der Loki zugesteckt.“ „Ach, dir fällt es wirklich schwer sich vorzustellen, dass deine barbarischen Vorfahren, die nur zu gern unsere Kirchen und Klöster ausraubten, nicht auch einen Weihnachtsbaum mitgehen lassen würden?“, donnerte Ferdinand zurück, worauf der Streit in wüste Beschimpfungen kippte, denen erst eine über den Lärm erboste Meisterin Krummohr Einhalt gebieten konnte. Fortsetzung folgt am nächsten Advent Bis dahin um Weiterlesen: In der Adventszeit 2021 wurde die Geschichte von Freyas Gunst veröffentlicht. In der Adventszeit 2023 wurde die Weihnachtsgeschichte aus Mora veröffentlicht. Auf Benjamins Blog “Blogpost aus Mora“ finden Sie weitere Geschichten mit philosophischen Reflektionen über die Götterwelt.