Anguckallergie

Inez Maus
Blogbeitrag 12. März 2023
Der Elefant steht immer noch im Porzellanladen
© Inez Maus 2014–2024
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Dies ist ein Gastbeitrag von Leon Maus. Beim Lesen des Blogartikels aus dem vergangenen Februar merkte ich an, dass man dem Elefanten damit ziemlich Unrecht tue, und überhaupt, dass man noch viel mehr zu dieser Redewendung sagen könnte. Mit dieser Bemerkung hatte ich mich erfolgreich um das Schreiben des März-Beitrages beworben. Wie kommt der Elefant in den Porzellanladen? Und wie verhält er sich dort? Letztendlich, wie kommt er wieder heraus? Per se ist der Elefant gar nicht so ungeschickt. Ein ausgewachsener asiatischer Bulle von oft deutlich mehr als vier Tonnen Masse kann sogar schneller als 20 km/h rennen, wenn auch in einer speziellen Elefanten-Gangart. Da muss man schon aufpassen, wo man hintritt, um nicht auf den Rüssel zu fallen. Ausgebildete Arbeitselefanten werden in schwierigem Gelände eingesetzt, wo sie den Maschinen überlegen sind. In Ostindien sitzt der Mahut – der Elefantenlenker – dabei auf ihrem Rücken und verlässt sich auf die Geschicklichkeit seines Tieres. Das Problem ist also nicht der Elefant, sondern der Porzellanladen. Denn dieser ist nicht für den Besuch eines Elefanten ausgelegt, die Gänge sind zu schmal und die Vitrinen zu zierlich. Und man kann mit wenig Aufwand sehr großen Schaden anrichten. Es geht nicht darum, dass jemand falsch ist. Es geht vielmehr darum, dass jemand an einem falschen Ort ist oder sich in einer Situation befindet, in die er nicht hineinpasst, weil er kein adäquates Verhalten aus seinem Repertoire abrufen kann. Und oft genug gibt es auch kein geeignetes Verhalten für einen eleganten Rückzug. Selbst wenn der Elefant versehentlich und ohne Schaden in den Porzellanladen gelangt ist, wird er höchstwahrscheinlich nicht wieder heil herauskommen, am wenigsten, wenn nun alle schreien, er solle „Gaaaanz vorsichtig sein!“ Redewendungen funktionieren, indem sie auf der Klaviatur sozialer Codes und popkultureller Memes spielen und mit einer kleinen Phrase ganze Kopfkino-Vorstellungen starten können. Das ist oft unterhaltsam. Aber Redewendungen und Sprichwörter können auch Stereotype und Vorurteile sowie Vorverurteilungen transportieren. Es schadet also gewiss nicht, diese kleinen Perlen der Sprache gelegentlich zu hinterfragen. Nicht zuletzt unterliegen Redewendungen auch einem Wandel mit den Zeitläuften. Im vorvergangenen Jahrhundert war es noch der sprichwörtliche Bulle oder Ochse, der den englischen „China shop“ aufmischte. Hier ging es dann wohl um absichtlich rüdes Benehmen, denn Ungeschicklichkeit bringt man eher nicht mit dem Rindvieh in Verbindung. Also, wenn Sie das nächste Mal einen Elefanten im Porzellanladen sehen, haken Sie sich bei seinem Rüssel ein und spazieren Sie plaudernd mit ihm heraus, als sei das das Normalste von der Welt. Er wird es Ihnen danken, sogar ewig, denn er hat bekanntlich „ein Gedächtnis wie ein Elefant“.