Fröhliche Weihnachten überall
© Inez Maus 2014–2024
Einer meiner meistgelesenen Blogartikel in diesem Jahr begann folgendermaßen: Für viele ist die Urlaubszeit eine
immer wieder langersehnte und die zugleich schönste Zeit des Jahres. Für autistische Kinder trifft dies oft nicht zu,
denn Urlaub bedeutet massive Veränderungen, besonders dann, wenn der Urlaub mit einer Reise verbunden ist.
Für die Weihnachtszeit trifft dies im gleichen Maße zu: Für viele ist die Weihnachtszeit eine immer wieder
langersehnte und die zugleich schönste Zeit des Jahres. Autistische Kinder empfinden dies oft nicht so, denn die
Weihnachtszeit bedeutet massive Veränderungen, besonders dann, wenn die Weihnachtszeit mit vielen Besuchen
verbunden ist.
In den letzten Wochen bin ich bei Veranstaltungen und in der persönlichen Kommunikation häufig gefragt worden,
was Eltern und Verwandte tun können, damit die Weihnachtszeit mit einem autistischen Kind für alle
Familienmitglieder ein harmonisches Erlebnis wird. Ein besonderer Fokus lag dabei immer auf den Geschwistern
und deren Bedürfnissen, die oft mit denen des autistischen Kindes nicht deckungsgleich sind.
Die Weihnachtszeit mit einem autistischen Kind sollte gründlich geplant und durchdacht werden. Ich möchte an
dieser Stelle einige Anregungen geben, wie die Weihnachtstage mit autistischem Kind gelingen können:
•
Die Geschwister wünschen sich wie die restlichen Familienmitglieder oft einen bunt und üppig geschmückten
Baum. Das autistische Kind dagegen möchte aufgrund seiner Wahrnehmungsbesonderheiten einen spärlich
geschmückten Baum. Eine einfache Lösung, die wir als Familie jahrelang praktiziert haben, kann darin bestehen,
dass die Geschwister in ihren Zimmern einen eigenen, kleineren Weihnachtsbaum aufstellen dürfen, den sie
dann nach Belieben schmücken können. So fällt es ihnen leichter, sich damit zu arrangieren, wenn für den
Familienweihnachtsbaum reizreduzierte Schmückregeln aufgestellt werden.
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Geschenke gehören zu Weihnachten dazu. Geschenke sind etwas Überraschendes, was meist liebevoll,
aufwendig und gelegentlich auch bunt verpackt ist. Überraschungen sind für nicht-autistische Kinder in der Regel
eine willkommene Abwechslung, für autistische Kinder bedeuten sie oft Stress, weshalb viele autistische Kinder
keine Überraschungen mögen, denn eine Überraschung ist eine Veränderung, die ausgehalten werden muss.
Abhilfe kann hier dadurch geschaffen werden, dass das autistische Kind vorher erfährt, welches Geschenk es
erhalten wird.
Es besteht auch die ebenfalls von uns ausgiebig erprobte Möglichkeit eines Superwunsches. Dazu bastelt das
autistische Kind wie seine Geschwister einen Wunschzettel, was aufgrund der Schwierigkeit, Entscheidungen zu
treffen, ebenfalls eine Herausforderung für dieses Kind sein kann. Nach Fertigstellung des Wunschzettels darf
das autistische Kind den Superwunsch ankreuzen. Das ist dann der Wunsch, den die Eltern garantiert erfüllen.
Je nach Persönlichkeit des autistischen Kindes besteht weiterhin die Möglichkeit, aus den anderen Wünschen
ein Überraschungsgeschenk dazuzugeben. Die durch die garantierte Erfüllung des Superwunsches erzeugte
Sicherheit führt bei vielen autistischen Kindern dazu, dass sie die Unsicherheit des Zusatzgeschenkes gut
aushalten und sich dann auch darüber freuen können. Wenn Geschwister die Möglichkeit des Superwunsches
ausprobieren möchten, sollten sie auf jeden Fall dazu die Gelegenheit erhalten, damit sie sich nicht
zurückgesetzt fühlen. Mit der Erfahrung, die sie mit der Erfüllung des Superwunsches sammeln, können sie im
kommenden Jahr fundiert entscheiden, ob sie abermals einen Superwunsch äußern möchten.
•
Bunte Geschenkverpackungen lösen bei autistischen Kindern oft sensorischen Stress aus. Dies kann sowohl die
eigenen als auch die Geschenke der anderen Familienmitglieder betreffen. Für das autistische Kind kann es
hilfreich sein, wenn das Geschenk nicht verpackt wird oder aber in einfarbiges Papier gewickelt wird. Eine
aufgeklebte Schleife wird oft besser angenommen als eine aus Schleifenband geformte Schleife, wobei das
Schleifenband zuvor rund um das Päckchen herumgewickelt wurde. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, das
Geschenk des autistischen Kindes so zu verpacken, dass der Inhalt trotz Verpackung sichtbar bleibt. Dafür
eignet sich Geschenkfolie oder durchsichtige Stofftüten aus dünnem Gewebe.
Wenn die unter dem Weihnachtsbaum liegenden, bunt verpackten Geschenke der anderen Familienmitglieder
dem autistischem Kind viel Stress bereiten, kann diese Anspannung dadurch verringert werden, dass die
Geschenke in einem oder in mehrere große Jutesäcke gesteckt und dann feierlich einzeln hervorgeholt werden.
Beim Auspacken der Geschenke ist in der Regel das gesamte Zimmer innerhalb kürzester Zeit mit Papierfetzen,
Schleifenbändern, Geschenkanhängern, Verpackungen, Süßigkeiten und Dekorationsartikeln, die sich an
Geschenken befanden, übersät. Damit dies nicht zu einer Quelle für eine Reizüberflutung wird, hilft es, vorher
eine Kiste oder einen großen Korb aufzustellen. Alle Familienmitglieder werden dazu angehalten, ihre
Überbleibsel der Geschenkverpackungen in diese Kiste oder in diesen Korb zu werfen. Somit wird das Chaos mit
minimalem Aufwand auf winzigem Raum gebündelt. Diese Kiste oder dieser Korb sollte im Raum verbleiben und
der Inhalt erst später getrennt und entsorgt werden, um die Stimmung nicht zu zerstören und um keine unnötigen
Reize zu produzieren.
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An den Weihnachtsfeiertagen gibt es typische Gerichte, die von Familie zu Familie zwar variieren, aber meist
nicht den rigiden Essensvorlieben autistischer Kinder entsprechen. Gebäck und Süßigkeiten stellen dabei oft
kein Problem dar, wohl aber beispielsweise Kartoffelsalat oder Gänsebraten. Es stellt aber ebenfalls kein
Problem dar, wenn das autistische Kind an den Weihnachtsfeiertagen Pommes Frites mit Fischstäbchen isst. Mit
wenig Mehraufwand für die Eltern oder Gastgeber können somit Machtkämpfe oder Eskalationen vermieden
werden. Das einzige „Problem“, welches sich hieraus ergeben könnte, besteht darin, dass die Geschwister dann
vielleicht auch Pommes Frites mit Fischstäbchen essen möchten.
•
Andere Familien zu besuchen oder selbst Besuch zu empfangen, gehört für viele Familien zum Weihnachtsfest
dazu. Dies kann aufgrund der ohnehin schon vielen Änderungen und sensorischen Anforderungen, dem das
autistische Kind während der Weihnachtstage ausgesetzt ist, schnell zu einer Reizüberflutung führen. Mehrfach
angekündigte Besuche mit wenigen Personen, deren geplanter Ablauf dann auch eingehalten wird, sind oft
besser für das autistische Kind zu meistern als große Ansammlungen von Personen mit unklaren Anfangs- und
Endzeiten. Eine andere Möglichkeit besteht darin, Besuche anderer Familien nicht immer als komplette Familie
zu absolvieren. Dem autistischen Kind beschert dies einen Tag Auszeit und möglicherweise intensiv verbrachte
Zeit mit einem Elternteil. Eine gemeinsame Familienaktivität kann anschließend dadurch entstehen, dass sich die
Familie zeitnah bei Weihnachtsgebäck und Kaffee oder Kakao zusammensetzt und sich über die Erlebnisse
austauscht.
Abschließen möchte ich mit der Anmerkung, dass autistische Kinder nach den Weihnachtsfeiertagen sehr
wahrscheinlich mehrere Tage Ruhe benötigen, bevor die Feierlichkeiten zum Jahresende folgen können, denn auch
ein gelungenes Weihnachtsfest kann dieses Kind viel Kraft kosten und an den Rand seiner Kraftreserven bringen.
Ich wünsche allen meinen Leserinnen und Lesern ein besinnliches Weihnachtsfest und einen guten Start in das
neue Jahr.
Ihre