 
 
  Wie essen Hunde?
 
  
 
  © Inez Maus 2014–2025
 
 
 
 
 
 
   
   
 
 
  Vor einigen Wochen erreichte mich die E-Mail eines Blog-Lesers, bei der in der Betreffzeile stand: „Wie wäre ein 
  Beitrag übers Essen?“ Im Text bat er darum, dass ich etwas zu Besonderheiten oder Schwierigkeiten von Autistinnen 
  und Autisten bei der Ernährung schreibe. Ich versprach, das Thema bei passender Gelegenheit aufzugreifen.
  Dass ich mich nun heute mit diesem Thema beschäftige, würde ich allerdings nicht als passende Gelegenheit 
  bezeichnen, denn ein negatives Erlebnis hat mich hierzu getriggert. Fast zeitgleich mit der E-Mail des eben 
  erwähnten Lesers äußerte eine Person, die an einer Fortbildung zum Thema Autismus teilnahm, Folgendes: 
  „Autisten interessieren sich doch nur fürs Essen, sie suchen ständig danach und wenn sie dann was kriegen, dann 
  stopfen sie es rein. Die essen wie die Hunde – die wollen doch auch ständig etwas verschlingen.“ Die 
  Teilnehmenden waren von mir am Beginn der Veranstaltung gefragt worden, was ihnen als Erstes einfällt, wenn sie 
  das Wort Autismus hören.
  Es hat etwas Zeit benötigt, bis ich diese Äußerung verdaut hatte. Natürlich habe ich sie nicht verdaut – obwohl diese 
  Formulierung zum Thema Essen gut passen würde –, sondern ich habe sie verarbeitet, mich damit 
  auseinandergesetzt, sodass ich jetzt darüber schreiben kann.
  Ich gebe zu, dass ich als hundeloser Mensch nicht detailliert über das Essverhalten – oder vielleicht doch eher das 
  Fressverhalten(?) – von Hunden Bescheid weiß. Ich weiß aber so viel, dass die Hunde in meinem Bekanntenkreis 
  ebenso Interesse an anderen Dingen in ihrer Umgebung einschließlich Personen zeigen.
  Die Person, die die oben zitierte Äußerung in einem geringschätzenden und abfälligen Tonfall tätigte, arbeitet in einer 
  WfbM (Werkstatt für behinderte Menschen). Als Mutter eines autistischen Sohnes muss ich allerdings einschränken, 
  dass meine Wahrnehmung des Tonfalls der Person vielleicht durch meine persönliche Situation verzerrt wurde. Oder 
  auch nicht, denn die anderen Teilnehmenden schauten recht verunsichert.
  Eine emotionale Reaktion meinerseits wäre wohl kontraproduktiv gewesen und hätte die Teilnehmerin, von der der 
  tierische Vergleich stammte, eher in ihrer Ansicht bestätigt. Stattdessen bat ich sie, eine entsprechende Situation zu 
  beschreiben, welche ihre Aussage verdeutlichen würde. Sie beschrieb daraufhin ausführlich, wie die anstehenden 
  Mahlzeiten im Arbeitsalltag als Regulierungsmittel eingesetzt werden. Da die Autisten keine Motivation zum Arbeiten 
  hätten, würde es eine Mahlzeit erst nach erfüllter Arbeitsaufgabe geben.
  Es muss an dieser Stelle wohl nicht erwähnt werden, dass durch das Fehlen von interessanten Arbeitsaufgaben und 
  das Erzwingen der Arbeitsleistung mittels der ansonsten drohenden Hinauszögerung der Pause und damit der 
  Mahlzeit oben beschriebene Mechanismen in Gang gesetzt werden.
  Bevor ich Beispiele für befriedigende und sinngebende Arbeitsaufgaben für Autisten in der WfbM bringen konnte, 
  ergriffen zwei Teilnehmerinnen die Gelegenheit und beschrieben ihre jeweiligen Arbeitsumfelder. Sie konnten das 
  eingangs beschriebene, verallgemeinerte Essverhalten von Autisten nicht bestätigen.
  Einige Autisten wie beispielsweise mein Sohn haben Probleme mit dem Hunger- oder Sättigungsgefühl. Das führt 
  allerdings nicht dazu, dass sie „ständig etwas verschlingen“ wollen, sondern dass sie oft rigide Regeln zur 
  Nahrungsaufnahme befolgen, um das vorhandene Wahrnehmungsdefizit zu kompensieren – vorausgesetzt natürlich, 
  dass Essen nicht als Belohnungsmittel eingesetzt wurde und wird. Eine Beschäftigung, die auf die eine oder andere 
  Art Erfolgserlebnisse beschert, führt eher dazu, dass die Aufnahme von Nahrung gelegentlich vergessen wird.
  Ein hastiges Verzehren von Getränken oder Nahrungsmitteln ist ebenfalls nicht selten bei autistischen Kindern, 
  Jugendlichen und auch Erwachsenen zu beobachten. Häufigste Ursachen hierfür sind ein eingeschränktes 
  Zeitgefühl und soziale Faktoren, wie beispielsweise der Stress, eine Mahlzeit in Gegenwart anderer Personen 
  einzunehmen, selbst dann, wenn dies Personen sind, deren Gegenwart prinzipiell als angenehm oder wohltuend 
  empfunden wird.
  Links zu den Fortsetzungen, die sich mit einigen Besonderheiten oder Schwierigkeiten von autistischen Menschen 
  bei der Ernährung beschäftigen, finden Sie hier.
  Zum Weiterlesen:
  Der weiße Grieche …
  Rot gefärbtes Eis
  
 